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Mein Vater Marcel Zeimet – ein Mann mit Löwenherz, der Werte, Überzeugungen und Prinzipien vertritt

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Eine Zeit, die meinen Vater tiefgreifend geprägt hat und für sein Leben lang markierte: die Jahre des 2. Weltkrieges.

Er war erst 16 Jahre alt als der Krieg begann, mit 18 wurde er zum Reichsarbeitsdienst (RAD) nach Österreich (Salzburg und Reitdorf | St Johann im Pongau) befehligt. Anschließend nach einem Heimataufenthalt der Stellungsbefehl zum Kriegsdienst auf dem Balkan. 

Dann kam die schwere, unsichere, lebensbedrohliche, mit kontinuierlicher Angst besessene Zeit der Kriegsdienstverweigerung, Fahnenflucht, Desertion und das Leben im Untergrund während dem verbleibenden Endabschnitt des 2. Weltkrieges. 

Was er zuweilen uns erzählte, war eher ein Versuch, mit diesen dramatischen Ereignissen zurechtzukommen, als eine mündliche Chronik davon zu erstellen. 

Nachdem er einen Stellungsbefehl bekommen hatte, und zu einem vorgegebenen Tag sich nach Roodt-Syre an den Bahnhof begeben sollte um dort einen Wehrmacht Transportzug nach Trier zu besteigen, wurde insgeheim ein Netzwerk von Helfern, Schleusern (“Passeurs”) und Schläfern der Resistenz aktiviert und Instruktionen zur Desertion und dem Ort des Unterschlupfes durchgestochen. 

Wer etwas vom genauen Ort des Verstecks wusste, wurde mir nie klar, wahrscheinlich nur sehr wenige, allerhöchstens der engste Familienkreis; auszugehen ist von Vater und Mutter, darüber hinaus wäre es bereits brenzlig geworden. 

Mein Vater war knapp 19 Jahre als er einberufen wurde: er erzählte mir, dass er mit einem Infanteriebataillon nach Serbien zum Kampf gegen die Partisanen gebracht werden sollte; für ihn und in seiner Sicht der Dinge “ein sicheres Todesurteil”, denn auf dem Balkan wütete ein erbitterter, blutrünstiger und erbarmungsloser Stellungskrieg. 

So, dass es nur eine Möglichkeit gab, sein Leben (versuchen) zu retten: die Fahnenflucht. Am Tag an dem die Abfahrt mit dem Militärzug vorgesehen war, ging mein Vater seinem ausgetüftelten und mit dem Unterstützerkreis abgesprochenen Plan nach, der darin bestand Spione und Verräter (mehr als willige Informanten des lokal ansässigen Ortsgruppenleiters gab es dem Vernehmen nach viele), auf eine falsche Fährte zu leiten: er verließ das Dorf über die sogenannte Scheißgaass in Richtung “Beyren”, und seine Vermutung daß Aufpasser vermelden würden er sei wohl zu seinen Angehörigen nach Beyren in Versteck geflohen, ging dann auch auf. Denn nachdem er nicht zum Stellungsbefehl in Roodt-Syre erschienen war, wurde zeitnah in Beyren eine Gestapo geleitete Suchaktion gestartet. 

Der Fahnenflüchtige war aber dort nicht anzutreffen. Anstatt über den “Kréiebierg” nach Beyren zu marschieren, war er über “Schack” hoch über das Plateau des Widdenberg bis über die “Gro’e Knuppen” in Banzelt marschiert, dann immer weiter durch Wälder, in Olingen den “Nurris”, in Richtung Berg, Wecker-Grund bis zum Schorenshaff. Dort warteten Beschützer, um ihn mit nach Manternach zu bringen und weitere Anweisungen über die Lokalitäten zu geben. Einer von Ihnen war “Dem” (Dominique Fohl) und auch der Familienname “Finsterwald” (Name eines engagierten Helfers) wurde immer wieder von ihm mit großem Dank und Respekt angeführt. Unversehrt erreichte er das stillgelegte Produktionsareal der Firma “Lamort”. Hier wurde in früherer Zeit Papier hergestellt, und neben dem Schloss, auf dem der Verwalter Jules Lefeber mit seiner Familie Unterkunft bezogen hatte, gab es eine ganze Reihe von Gebäuden auf diesem Gelände an der Syr. Die meisten davon standen leer. Eines dieser unscheinbaren Hangare war auserkoren worden, Kriegsdienstverweigerer und Resistenzler zu beherbergen. 

Marcel Zeimet stieß zu dieser Gruppe von jungen Menschen aus der Region, allesamt Verweigerer des Dienstes an der Waffe als Zwangsrekrutierter der verhassten Wehrmacht und sollte viele Monate hier im Untergrund um sein Leben bangen. Denn Verrat, oder Razzien durch die Nazi-Schergen hätte die Verhaftung, sehr wahrscheinlich standrechtliche Erschießung bedeutet.

Als nach dem Krieg versucht wurde aktiv aufrichtige Menschen, stille Helden (ähnlich “Gerechte unter den Völkern”) zu identifizieren, die unter großer Gefahr für ihr eigenes Leben und das ihrer Familie, fahnenflüchtigen Kriegsdienstverweigern geholfen hatten, kamen im Fall meines Vaters folgende Namen auf die Liste:

Die Bewahrer des Lichtes – in einer Zeit der Dunkelheit. Mitglieder des Pantheons der Gerechten.

Jules Lefeber und seine Familie

Dem‘ (Dominique) FOHL, gebürtig aus Grevenmacherberg, landläufig besser bekannt als dem Ort namens “Potaschbierg”, lebte dort während der Zeit des 2. Weltkrieges – wohnte dann aber später bis zu seinem Tode in Munschecker. “Dem” Fohl war ein erfahrener und erfolgreicher Schleuser und in diesem Sinne ein couragierter Fluchthelfer, ein sogenannter “Passeur”, der in diesem, seinem lebensgefährlichen Engagement vielen Wehrdienst-Verweigern aus der Region verhalf, sich als sogenannte “Zwangsrekrutierte” des Nazi-Regimes, und spezifischer der Wehrmacht, dem Dienst an der Waffe zu entziehen.

Jos FINSTERWALD, gebürtig aus Kayl, während des 2. Weltkrieges wohnhaft in der “Héicht” in Flaxweiler.

Familie Glesener auf Beelener Haff (Junglinster)

Eine erste Erhebung war Ende der 60er Jahre vorgenommen worden, leider verschwand die “Fiche” mit den Erklärungen meines Vaters. 

PS: Es wird versucht, die Liste weiter zu vervollständigen.

Erklärung zur Artikel-Illustration | Die Abbildung auf der Briefmarke, die durch die POST Luxembourg Customization Services herausgegeben wurde, zeigt Marcel Zeimet während des Zweiten Weltkriegs in Manternach in der Nähe des Schlass Lamort als Teil einer Gruppe von Untergrundkämpfern, allesamt Deserteure der Deutschen Wehrmacht, die sich in dieser Gegend versteckten (Manternach Jules Lefeber, Beelenerhaff Glesener – Junglinster).

Groupe de Réfractaires Château Lamort Manternach – 1944

In Erinnerung an meinen Vater – Ein Leben im Einklang mit der Natur

Heute, am Geburtstag meines geliebten Vaters, der vor fast 15 Jahren von uns ging, denke ich besonders an diese bedeutende Person in meinem Leben: Vater, Fürsorger, Freund, Herzensmensch, Vorbild, Lebenslehrer, Inspiration – und vor allem mein Held.

In Gedanken kehre ich zurück zu den vielen Stunden, die wir gemeinsam in der Natur verbrachten, und es gibt so vieles, was ich darüber erzählen möchte. Ein ganz besonderes Erlebnis aus dieser Zeit ist mir heute besonders in Erinnerung, ein Nachmittag im Wald von “Haart”, nahe dem Ort genannt “An den Lochewisen” .

Es war eine jener Tage, an denen meine Mutter mit meinen jüngeren Geschwistern unterwegs war, und ich die Gelegenheit ergriff, mit meinem Vater zur Arbeit zu gehen. Er bereitete eine Waldfläche für die Neuanpflanzung von Bäumen vor. Dazu musste gerodet werden, und das Holz, das nicht wiederverwertet werden konnte, wurde einfach verbrannt. Die Feuer, die mein Vater entfachte, waren gewaltig. Er sagte immer: „Jetzt entfachen wir die Hölle“, und in der Tat, die Flammen loderten bis zum Himmel, und die Hitze war fast unerträglich. Es war so heiß, dass man sich nur mit etwas Abstand an das Feuer nähern konnte, um überhaupt noch normal atmen zu können.

In der Nähe der Feuerarbeit lag das berühmte Moor “Klackenmuer1”. Früher dachte ich, diese Moore wären vulkanischen Ursprungs, bis mir mein Sohn Tom erklärte, wie sie tatsächlich entstehen. Moore entstehen in feuchten Gebieten durch austretendes Quellwasser [siehe Einzugsgebiet des Widdenberg] oder gespeist durch Oberflächenwasser, wo abgestorbenes Pflanzenmaterial unter Sauerstoffmangel zu Torf wird. Ich erinnere mich, wie mein Vater mir erzählte, dass die Moore Menschen „verschlucken“ können, wenn man nicht vorsichtig ist. Er zeigte mir, wie weit sich Wildschweine in das Moor wagten, wenn sie sich suhlten – und man konnte ihre Suhlstellen gut erkennen. Das war eine Lektion in Vorsicht und Respekt gegenüber der Natur.

Ich erinnere mich besonders an jene Momente, wenn mein Vater vor einer imposanten Eiche oder Buche stehen blieb. Er wusste genau, wo diese beeindruckenden Baumriesen zu finden waren – wahre Koryphäen des Waldes, die mit ihrer erhabenen Erscheinung wie Meilensteine auf unseren Spaziergängen wirkten. Diese Wälder waren ihm ans Herz gewachsen, sie waren Teil seines Lebens.

Oft hielt er an einem dieser ehrwürdigen Bäume inne, sah mich an und sagte: “Siehst du, was für ein prachtvoller Baum das ist?” Dann breitete er seine Arme aus, um mir zu zeigen, wie mächtig sein Stamm war. Mit einer Hand lehnte er sich an das raue Holz, mit der anderen hielt er seinen traditionellen Béret fest, während sein Blick ehrfürchtig nach oben wanderte. “Was für eine Höhe, was für eine beeindruckende Gestalt!” Und dann, fast in einem feierlichen Ton, fügte er hinzu: “Das sind die Göttergestalten des Waldes. Ich hoffe, der Förster wird diesem Baum noch eine lange Zeit bewahren.”

Sorgfältig ging er einmal um den Stamm herum, prüfte, ob irgendwo das schicksalhafte Zeichen des Fällens eingeritzt war – das Todesurteil für ein so majestätisches Lebewesen. Für meinen Vater war ein Baum in der Natur stets wertvoller als jedes noch so kunstvoll gefertigte Möbelstück, das später in einem Wohnzimmer stand. Diese Haltung übernahm ich mit der Zeit ganz selbstverständlich. Ja, Bäume sind mehr als nur Pflanzen – sie sind Lebewesen, sie prägen unsere Welt und verleihen ihr Schönheit.

Später lernte ich aus Büchern und wissenschaftlichen Beiträgen, dass Bäume in Wäldern durch ihre Wurzelsysteme miteinander verbunden sind. Sie kommunizieren, unterstützen sich gegenseitig und bilden ein Netzwerk des Zusammenhalts. Diese Erkenntnis berührte mich tief – sie spiegelte fast etwas Menschliches wider, im besten Sinne des Wortes.

Diese Erinnerungen sind geblieben, tief verwurzelt in mir, verbunden mit dem Andenken an einen Vater, der mir die Tore zu Wissen und Staunen öffnete. Ein Privileg, wie ich heute weiß.

Ein anderes Erlebnis, das mir immer noch im Gedächtnis ist, war eine kleine Wette, die mein Vater mit mir abschloss: Er forderte mich zu einem Sprint heraus, über eine Strecke, die nur mit Steppengras bewachsen war. Ich war beeindruckt, wie schnell er noch war, obwohl er sich damals schon dem 50. Lebensjahr näherte.

An jenem Tag nahm er mich mit auf seine traditionellen Rundgänge durch den Wald, der eine abwechslungsreiche Vegetation bot: Buchen- und Eichenwälder, die majestätisch gewachsen waren, sowie junge Wälder, die noch die geordneten Reihen ihrer Neupflanzungen zeigten. Bei seinen Begehungen zeigte er mir immer Stellen, an denen Wild zu finden war, und erklärte mir, wie man die Spuren der Tiere liest. Wir sprachen oft über Wildschweine und Rehe, und er zeigte mir, wo diese Tiere „liegen“ – niemals jedoch, um sie zu gefährden. Es war eine stille, respektvolle Beobachtung der Tiere und ihrer natürlichen Lebensräume.

All diese Erlebnisse liegen schon lange zurück, aber sie sind tief in meinem Gedächtnis verankert. Diese Zeit mit meinem Vater war nicht nur eine der schönsten, sondern auch eine, in der meine Liebe zur Natur und meine Wertschätzung für Flora und Fauna erwachte. Sie prägten mein grünes Gewissen und meine Haltung gegenüber der Umwelt.

Danke, Papa – für all das, was du mir beigebracht hast und die wertvollen Momente, die wir zusammen verbringen durften.


I

Referenz:

Ons Jongen a Meedercher“, Opfer des Nazismus, Victimes du Nazisme | Website gepflegt von der Fédération desEnrôlé(e)s de Force Luxemburg.

ZEIMET Marcel Personal Record in “Ons Jongen a Meedercher” | Datenbank-Eintrag auf “Eis Jongen a Meedercher”, Dossier und Ressourcen zum Arbeitsdienst RAD Salzburg und Reitdorf St Johann im Pongau, Untergrund Aufenthalt in Manternach Usines Lamort.

  1. “Klackenmuer (auch als Glockenmoor bekannt) bezeichnet ein Quellmoor im Waldgebiet ‘Haart’ nahe dem Ort ‘An de Lochewisen.’ Einer lokalen Legende zufolge – von der mein Vater selig noch erzählt hatte – sollen, Ende des 18. Jahrhunderts (um 1795), in diesem Sumpf die Glocken der Pfarrkirche, vor anrückenden französischen Truppen verborgen worden sein. Die feindliche Armee war zu jener Zeit dafür bekannt, bevorzugt große metallene Gegenstände zu konfiszieren, sie zu schmelzen und in Kanonen und anderes Kriegsgerät umzuwandeln – eine Praxis, die an das biblische Motto ‘Schwerter zu Pflugscharen’ erinnert, aber im umgekehrten Sinne. Um diesem Vorhaben zu entgehen, sollen die Dorfältesten die Glocken aus der Kirche entfernt und im Sumpf der ‘Haart’ versenkt haben.” ↩︎

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